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26.12.2024 : 17:48

Prinz und Rapunzel finden ein Kätzchen von Annette Paul

Prinz und Rapunzel finden ein Kätzchen

®Annette Paul

„Jetzt müssen wir uns aber beeilen." Rapunzel zieht im Laufen den Reißverschluss ihrer Jacke hoch. Jetzt sitze ich unter ihrem Pulli im Dunkeln. Bis eben konnte ich noch durch den Halsausschnitt rausschauen. Also wühle ich mich bis zum Jackenkragen, damit ich wieder etwas sehen kann.

Rapunzel hat ihre Freundin Sina besucht. Ich durfte mitkommen, da Sina mich niedlich findet und auch ihre Mutter nichts gegen Ratten einzuwenden hat. Allerdings muss ich dort still sein, weil niemand wissen darf, dass ich mich mit meinen Menschen unterhalten kann. Schließlich bin ich ein Prinz aus königlichem Geschlecht und eines Tages wird meine Prinzessin mich heiraten und vom Zauberbann erlösen. Aber bis dahin dauert es noch, denn Rapunzel geht erst in die zweite Klasse.

Weil Rapunzel zu spät losgegangen ist, nimmt sie die Abkürzung über den Wanderweg, vorbei am Regenrückhaltebecken. Eigentlich darf sie da im Dunkeln gar nicht entlang gehen.

„Prinzessin, bleib lieber auf der Straße", ermahne ich sie. Doch Rapunzel lacht nur. „Was soll da schon passieren? Außerdem habe ich meinen Ritter dabei, der mich verteidigen kann."

Natürlich kann sie sich auf mich verlassen. Allerdings sind die Gefahren meistens ziemlich groß. Neulich kam ein Schäferhund angesprungen. Ein Riese! Was kann ich gegen den schon ausrichten? Allerdings ließ sich der dicke Kerl von Rapunzel kraulen. Er genoss es sichtlich und vergaß darüber sogar, mich weiter zu suchen. Puh, war das knapp gewesen! Auch wenn ich mein Leben für Rapunzel opfern würde, wenn es sein muss. Lieber verzichte ich allerdings auf solche Heldentaten.

„Prinz, es ist gar nicht dunkel."

Hm, da hat sie recht, denn es liegt Schnee und dadurch ist der Weg gut zu sehen. Unter Rapunzels Füßen knirscht der frische Schnee. Vor Begeisterung läuft sie Schlangenlinien, bückt sich und formt einen Schneeball, den sie ins Wasser des Rückhaltebeckens wirft. Ich verziehe mich lieber tiefer in ihren Pulli, denn es ist ziemlich kalt draußen und ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, im Freien zu sein.

Als der Schneeball ins Wasser platscht, höre ich klagende Laute. Ein Tier in Not! Aufgeregt krieche ich aus dem Pulli, arbeite mich durch den Schal, bis ich endlich auf Rapunzels Schulter sitze. „Hörst du es?", frage ich und lausche. Ein schwacher Laut kommt vom Wasser her.

„Nee, da ist nichts. Hier ist alles ganz still. Nicht einmal Autos höre ich."

„Da ist aber jemand in Not. Jemand ertrinkt." Ich laufe hin und her. Was soll ich tun? Schließlich klettere ich hinunter. Brrr, ist der Schnee kalt. Er ist auch so tief. Mein Kopf schaut gerade noch heraus. Trotzdem kämpfe ich mich bis zum Rand des Betonbeckens hindurch. Jetzt kann ich es klar und deutlich hören. Ein Tier ertrinkt. Es kommt nicht mehr heraus. So wie ich damals, als Rapunzel mich gerettet hat.

Rapunzel folgt mir.

„Nicht zu dicht an den Rand", warne ich. Ich habe Angst, dass sie ausrutscht und im Wasser landet. Ich kann zwar gut schwimmen, aber einen Menschen kann ich nicht herausziehen, so viel Kraft habe ich nicht.

Trotz meiner Warnung tritt sie ganz dicht an die Kante, bückt sich und sucht das Wasser ab. Ein paar Meter weiter kämpft ein kleines Kätzchen um sein Leben. Ich habe es schon entdeckt, nur wie können wir es herausholen?

Rapunzel nimmt ihren Schal ab. Doch so einfach wie bei mir damals ist es nicht, denn das Ufer hier ist viel höher und der Schal reicht gar nicht bis zum Wasser hinunter.

„Wir müssen Hilfe holen. Ruf deine Brüder an", schlage ich vor.

„Bis die hier sind, ist die Katze ertrunken. Schau mal, sie kann sich kaum noch über Wasser halten." Rapunzel läuft zum Gebüsch hinter dem Weg. Die Zweige sind nicht lang genug. Trotzdem folge ich ihr und stöbere im Dickicht herum.

Da hat jemand tatsächlich ein langes Brett weggeworfen. Es ist schon fast zugeschneit. Nur weil es unter den Büschen liegt, schaut es noch etwas heraus. „Hier, ich habe etwas", rufe ich.

Hoffentlich kann Rapunzel es tragen. Natürlich helfe ich ihr dabei.

Sie zieht es heraus und versucht es zu heben. Hilfe, fast erschlägt sie mich damit, als das Ding ihr aus der Hand dreht.

„Zieh es einfach bis zum Wasser", rate ich. Zum Glück hört sie auf mich. Zweimal muss sie absetzen und Luft holen, dann erreicht sie das Ufer.

„Vorsichtig, damit es nicht hineinfällt", warne ich.

Zentimeter um Zentimeter schiebt Rapunzel das Brett weiter. Es ist lang genug. Die Katze sieht das Brett und erreicht es mit letzter Kraft. Jetzt hockt sie auf dem Brett und rührt sich nicht.

„Komm, Kätzchen, komm", lockt Rapunzel. Und dann „Mieze, Mieze."

Nichts. Das Tier bleibt sitzen. Vielleicht ist es bei der Kälte schon festgefroren? Als es nicht reagiert, zieht Rapunzel das Brett langsam wieder hoch. Zweimal schwankt die Katze, doch im letzten Augenblick krallt sie sich fest. Endlich ist sie an Land und Rapunzel hebt sie hoch. Die Kleine zittert vor Kälte. Rapunzel wickelt sie in ihren Schal. Und ich sehe zu, dass ich wieder auf ihre Schulter hochklettere, denn ich friere auch.

„Und was machst du jetzt mit ihr?"

„Nach Hause nehmen. Die anderen freuen sich sicher über eine Katze."

„Ich nicht, Katzen fressen Ratten."

Rapunzel lacht. „Wird sie schon nicht. Die ist doch viel zu klein dazu."

Klar, noch ist das Kätzchen nicht viel größer als ich. Aber das ändert sich bald. Nein, ich will auf keinen Fall mit einer Katze zusammenleben. Notfalls wandere ich weiter. Vielleicht ist Rapunzel gar nicht die versprochene Prinzessin und ich vertrödele bei ihr meine Zeit.

Natürlich kommen wir zu spät zum Abendessen. Die anderen sitzen schon am Tisch, allerdings liegt da noch Brot und Aufschnitt drauf. Rapunzel muss also nicht hungern.

Ihre Mutter schaut auf die Uhr.

„Ich weiß, aber wir mussten doch erst noch das Kätzchen vor dem Ertrinken retten", erklärt Rapunzel und schält das Tier aus dem Schal. Ihre Schwester steht auf und holt ein Handtuch. Damit rubbelt sie das Kätzchen trocken. Die andere Schwester holt ein Schälchen mit Wasser.

„Was fressen Katzen?", überlegt sie. Kurz entschlossen schneidet sie ein Stückchen Käse ab. Tatsächlich frisst die Katze ihn.

„Ob das gesund ist?", fragt die Mutter.

„Frau Meier hat eine Katze, die gibt uns sicher Futter ab." Rapunzel läuft sofort los und klingelt an der Nachbarwohnung.

„Ich habe keine Katze mehr, mein Mohrle ist weggelaufen. Dieses Jahr wird es ein ganz einsames Weihnachtsfest", klagt Frau Meier. Dann holt sie aus der Abstellkammer eine Dose Katzenfutter.

„Vielen Dank. Kommen Sie doch mit und schauen sich das Kätzchen an", schlägt Rapunzel vor.

Sie zieht Frau Meier an der Hand mit zu sich hinüber.

„Na, dann pass gut auf deine Ratte auf", sagt die alte Dame zu Rapunzel.

Ich nicke. Die Katze spricht nicht. Ich habe versucht, mich mit ihr zu unterhalten. Sie stammt auf keinen Fall aus einer königlichen Familie, nicht einmal aus einer Katzenkönigsfamilie. Was kann man mit so einem Tier schon machen? Das eignet sich doch nur zum Mäusefangen. Und nachher verwechselt sie mich mit einer Maus. Nein, das geht gar nicht.

„Wir wollen keinen Zoo hier haben", sagt Rapunzels Vater.

Die sechs Kinder schauen ihn bittend an. „Nein, eine Ratte reicht. Die macht schon genug Schaden", erklärt er.

So eine Gemeinheit! Das stimmt überhaupt nicht. Und ich darf mich nicht verteidigen, weil Frau Meier da ist.

„Wollen Sie das Kätzchen nicht nehmen, wenn Ihr Mohrle verschwunden ist?"

„Aber ihre Kinder möchten sie doch gern behalten."

„Nein, das geht wirklich nicht", erklärt die Mutter. „Wenn Sie sie nicht nehmen, bringen wir sie morgen ins Tierheim."

„Nein, nicht zu Weihnachten", protestiert Rapunzel.

„Wir haben kein Futter, keine Näpfe, kein Körbchen, kein Katzenklo, nichts. Nein, das geht nicht."

„Wenn Sie sie wirklich nicht behalten wollen." Frau Meier sagt es zögernd, dabei strahlt sie über das ganze Gesicht.

„Natürlich, bei Ihnen ist sie besser aufgehoben. Bei uns ist immer so viel Lärm und Trubel, da fühlt sie sich bestimmt nicht wohl", sagt die große Schwester.

„Ihr könnt mich besuchen kommen und mit ihr spielen", schlägt Frau Meier vor.

Als sie später mit der Katze zu sich hinübergeht, sagt Rapunzel: „Das ist eine richtige Weihnachtskatze. Jetzt ist Frau Meier glücklich." Die anderen nicken zustimmend. Und ich bin auch ganz glücklich. Jetzt brauche ich keine Angst haben, von der Katze gefressen zu werden.

Weitere Informationen zur Autorin und der Ratte Prinz und ihrer Freundin Rapunzel finden Sie auf: probeschmoekern-annette-paul.blogspot.de